METALLBAUKASTEN

HARRIS 855 mit DR-Big Motor

Schöner als im Rohrgeflecht des Briten Lester Harris lassen sich Einzylinder kaum verpacken. Der Antrieb der Suzuki DR Big  war jedenfalls kaum wieder zu erkennen.

Spätestens seit der Sound of Singles deutsche Rennstrecken belebt, wissen wir, wie ungerecht die Motorradwelt sein kann: Da sausen unter herrlichster Geräuschentwicklung schlank Maschinen über die Pisten, deren Antriebe im Normalfall eher derbes Gerät über derben Schotter prügeln müssen.  Echt derbe: DR Big heißt das Schicksal des Hubraumriesen von Suzuki, DR 650 das seines kleinen Bruders. Dominator jenes des quirligen Honda-650ers, KTM 600 schließlich das des alten, luftgekühlten Rotax - und dem Großteil der Kundschaft scheint es ja so auch zu gefallen.

Jenseits dieser Klientel darben die Liebhaber rassiger Straßenmaschinen, trauern der Gilera Saturno nach und hoffen auf ein Wunder. Denen kann geholfen werden. Das Wunder kostet zwar etwas mehr, mehr sogar als die Gilera, aber dafür sieht es auch nach Wunder aus: Für alle eingangs genannten Big Banger passt ein Rahmen, der fast schon zu schön ist für die Fährnisse deutscher Strassen. Mehr ein Sonntagsanzug. Sei's drum, dann soll eben alle Tage Sonntag sein.

Der Schöpfer dieser Ausgeh-Uniform heißt Lester Harris, sowohl sein Engagement im Grand Prix-Sport als auch seine SoS-Fahrwerke zeugen von Kompetenz. Freilich verzichtet er bei diesem Straßenrahmen auf die im Sport verwendeten Alu-Kastenprofile, setzt einzig und allein auf 531er Reynoldsrohr. Daraus formt er ein knapp gehaltenes, unten offenes Geflecht, dessen zwei Hauptrohre zielbewusst zur Schwingenaufnahme streben. Zur Schwinge macht er zwei Stahl-Profile, über gefräste Umlenkhebel und ein in jeder Hinsicht einstellbares Öhlins-Federbein stützt sie sich ab. Als Krönung erscheint obendrauf ein lang gestreckter Alu-Tank nach alter Briten Art, eine dezente Verkleidung schmiegt sich um den Steuerkopf, und ein Solistenhöcker bedeckt das Hinterteil. Fertig. Außer ein paar reizenden Kleinigkeiten wie einer hochwertigen gearbeiteten Fußrasten-Anlage komplettiert dann noch eine Harris-Grand Prix-Bremse für das Hinterrad den Fahrwerkskit, und so bietet ihn Importeur Horst Eder mit seinem Team Metisse denn auch an. Preis: 10500 DM

Soweit die Ausgangslage. Doch jetzt tritt König Kunde auf. Der bringt seinen Lieblingssingle mit und die Gabel. Dann verliebt er sich in die Verkleidung und den Höcker aus Kohlefaser, entdeckt den Rahmen in vernickelter Ausführung. Räder müssen auch noch her, und eine Alu-Schwinge wäre ebenfalls nett. Kurz und gut, aus so einer Harris kann ein echter Bankdieb werden. Aber Horst Eder weiß: "Die meisten Kunden haben sich das lange überlegt. Die wollen ein individuelles Motorrad, an dem sie viele Jahre Freude haben." Will sagen: Irgendwann bringt so ein Ding Zinsen ein.

Danach jedenfalls schaut die Harris aus, die draußen vor Eders Werkstatt im niedersächsischen Hunteburg parkt. Niedrig, funktional, klassisch. Ein gierendes Leichtgewicht, das sogar mit dem Yamaha SR 500-Motor noch zu sportlichen Fahrleistungen fähig wäre. Im Rahmen aber steckt der ohnehin schon potente Motor aus Suzukis DR Big 800. Freilich reichten dessen 50 PS nicht für Eders Ausstellungsstück. Die mit der Leistungsfindung beauftragte Firma Großewächter aus Spenge hat dann gleich Nägel mit Köpfen gemacht, und jetzt steht irgendwo im Kfz-Brief was mit 855, weil die Bohrung von 105 auf 110 Millimeter wuchs. Unter Leistung vermerkt das Behörden-Dokument ganz lapidar 48 KW. 65 PS also. Damit sich der eher mittleren Drehzahlen zugetane Vierventiler dabei nicht übernimmt, mussten entsprechende Einbauteile her.

Vornehmlich in den USA wurde Friedhelm Großewächter fündig, verbaute einen geschmiedeten Arias-Kolben, eine mäßig scharfe Megacycle-Nockenwelle sowie das obligate Carillo-Pleuel. Geglättete Kanäle, überarbeitete Ventilsitze und stärkere Ventilfedern sowie eine Feingewuchtete Kurbelwelle komplettierten das Leistungstraining. Vergaser und Zündung entstammen der Serie, und Horst Eder übernahm auch gleich die komplette Elektrik von der Suzi. Armaturen und Instrumente der DR Big hielten seinem stylsicheren Blick ebenfalls Stand: Wie extra angepasst duckt sich die erfreulich zierliche Kombination aus Tacho und Drehzahlmesser unter die flache Verkleidungsscheibe. Und in weiser Voraussicht auf sportive Zweitverwertung haben die DR-Bauer ihrem Enduro-Tacho ein Ziffernblatt spendiert, das über 200 km/h reicht. Eder lakonisch: "Genau darauf habe ich sie übersetzt."

Gut gebrüllt: Bei ersten Fahreindrücken zog die Nadel ziemlich bestimmt auf über 180 km/h, dann forderte der kaum eingefahrene Motor etwas Mäßigung. Besonders aber beeindruckte, das der Suzuki-Single auch in dieser aufgeblasenen Version fast so handzahm wirkt wie in der DR Big. Da gibt es wahrhaft Serien-Einzylinder, die unter 3000 Touren zickiger und ruckender auf die Gashand reagieren. Auch den Punch eben ab 3000/min hat er nicht verloren, allerdings geht ihm bei hohen Drehzahlen selbst im Großewächter-Trimm noch jede Spritzigkeit ab, die etwa den Honda-Motor auszeichnet. Womit nicht gesagt sein soll, das letzterer mit serienmäßigen 44 PS irgendeine Chance gegen dieses Tuning-Aggregat hätte. Nein, Großewächters Machwerk ist schon ein souveränes Prachtstück, es explodiert nur nicht. Nebenbei bemerkt: Wer mit so einem knapp verkleideten Bike nicht unbedingt 200 km/h fahren muss, der sollte ihm mittels kürzerer Übersetzung noch mehr Leben einhauchen.

Eben danach nämlich schreit das handliche und gleichzeitig ultra-stabile Fahrwerk der Harris. Vorn lässt Horst Eder die gut ansprechende, aber ordentlich straffe Gabel einer Kawasaki ZXR 400 arbeiten, und das Vorderrad hat er gleich mit übernommen. Hinten rollt sein Renner auf einer Suzuki RGV 250-Felge, folglich weisen die Pirelli MTR die Dimensionen 110/70 x 17 vorn sowie 150/60 x 17 hinten auf. Damit lenkt die Maschine korrekt und weich ein, hält auch in schnellen, buckligen Kurven sauber ihre Spur. Sie kippt nicht überhandlich in enge Kurven, will eher von sanfter Hand geführt werden. Das erfordert ein paar Kilometer Gewöhnung, macht auf lange Sicht aber viel mehr Spaß. Zum Stehen bringt die Edersche Version eine Billet-Vorderradbremse mit Sechskolben-Zange, die im absoluten Neuzustand noch nicht mit feinster Dosierbarkeit, wohl aber mit ordentlicher Verzögerung dienen konnte.

Das Ganze ordnet sich zu einer Kombination, die dank gelungener, beinahe tourensportlicher Sitzposition ewig lang und anhaltend - berauschende Fahrten ermöglicht. Und spätestens nach dem Absteigen, beim Blich zurück auf dieses schöne und solide gefertigte Stück Technik, wird klar, das die Harris als Geldanlage wärmstens empfohlen werden darf: Schon die Probefahrt bringt Zinsen. Quelle: MOTORRAD 2/1995

Motor Suzuki DR 800 (Tuning: Großewächter - Spenge)

Hubraum 855 ccm / Bohrung x Hub 110 x 90 mm

 

Megacycle-Nockenwelle  -  Carillo-Pleuel  -  Arias-Kolben

Feingewuchtete Kurbelwelle  -  Geglättete Kanäle  -  überarbeitete Ventilsitze  -  stärkere Ventilfedern

Leistung 48 KW (65 PS) bei 6400/min Drehmoment 76 Nm bei 3000/min
Radstand 1340 mm Federweg vorn/hinten  120/135 mm
Gabel - Standrohrdurchmesser 41 mm + Vorderrad von ZXR 400

Hinterrad von RGV250

                                                                                           v.110/70 x 17

h.150/60 x 17

Öhlins Federbein Alutank
Verkleidung aus Carbon Sitzbank/Heck aus Carbon
Gewicht fahrfertig ca. 160 kg Höchstgeschwindigkeit  ca. 212 km/h
 Baujahr 1995 Neupreis 24900,- DM

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